Unsere globalisierte Kultur ist schwer krank. Die Krankheit wird erst unter Fachleuten fundiert diskutiert – aber spüren tut es jeder Bewohner der ersten Welt. Nennen wir diese Krankheit einfach mal „Morbus energeticus„. Das bedeutet in etwa so viel wie „Energiekrankheit„. Auf jeden Fall passt diese Bezeichnung genau zur Krankheitsursache, nämlich dem übermässigen Genuss von Energie. Es ist eine reine Suchtkrankheit.
Lasst uns dieses Thema nun frisch aufrollen. Nehmen wir zur Abwechslung mal andere Beispiele und bessere Gründe, um das Thema zu beschreiben. Es soll auf keinen Fall wissenschaftlich daherkommen! Aber trotzdem so genau wie möglich beschreiben, was dem Patienten denn fehlt. Also nicht weniger als die Quadratur des Kreises:
Nennen wir den Patienten zum besseren Verständnis einfach Esmeraldo Globales, ein rein zufällig gewählter Name, der die Menschheit repräsentieren soll. Ja, nur die Menschheit, denn interessanterweise haben niedere Geschöpfe mit Energie keinerlei Probleme. Ausgenommen vielleicht, wenn sie sich unerwartet in einem Kochtopf wiederfinden oder gerade als Gemüse gedünstet werden. Für Gemüse ist das kein echtes Problem, weil Gemüse ja kaum etwas daran auszusetzen hat und wir annehmen, dass die fleischlichen Geschöpfe schon vor längerer Zeit das Zeitliche gesegnet haben.
Dieser Vergleich führt mich zum eigentlichen Problem des Patienten Esmeraldo Globales. Seit über 150 Jahren ernährt sich dieser ungesunde Mensch mit 70% fossilem Schlamm und Staub aber lediglich mit 30% feinem, grünem, nachwachsendem Kraut. Selbst das nachwachsende Kraut stammt zu einem grossen Teil aus schlamm- und pulverbefeuerten Anlagen der Gemüsebranche. Das musste einfach zu gesundheitlichen Problemen führen: Schwärende, triefende, offene Wunden, überhitzter Kreislauf und ein Gemeinzustand, der sich dauernd um den Kollaps bewegt. Seit einem Erdbeben ist es noch schlimmer geworden: Jetzt hat er auch noch Angst vor unbekannten drohenden Gefahren. Ein psychisches Problem ist die typische Begleiterscheinung und hat erwartungsgemäss panische und unpraktische Reaktionen zur Folge. Auch beim pflegenden Personal.
Es reicht nicht, dass es unserem Patienten körperlich und psychisch sehr schlecht geht. Er wird auch noch völlig falsch behandelt. Nennen wir die pflegende Schwester der Anonymität halber Visiona Verte. Sie ist eine äusserst liebenswürdige und sympathische Person. Aber leider hat sie bei der Ausbildung vor allem die schönen, erfolgreichen Jungärzte bewundert und beim Thema Wundpflege sass sie gerade hinter der Säule.
Die gutmütige Visiona Verte kommt also ins Zimmer des Patienten (sie ist momentan omnipräsent ) und setzt zur ersten notfallmässigen Behandlung an. Auf die offene Wunde mit pulsierend spritzendem Blut klebt sie ein kleines grünes Windradpflästerchen, das gerade mal den hundertsten Teil der Wunde abdeckt und schmiert eine Fingerspitze voll photovoltaische Salbe darum herum. Gegen die schwärende, eiternde Wunde möchte sie ein paar Liter Zeichen und Symbole auftragen. Diese Arznei ist aber dermassen flüchtig, dass sie sich noch vor der Behandlung in Luft aufgelöst hat. Sie behilft sich mit einem intelligenten aber äusserst teueren Netz. Damit kann Visiona Verte lediglich einen kleinen Teil des Körpers abdecken. Der Rest kommt mit der Hauptlieferung in ca. 30 Jahren.
Der Gesamtzustand des Patienten kann nur deshalb stabil gehalten werden, weil die Herz-Lungen-Maschine einen einwandfreien Dienst verrichtet. Der Patient würde mit der Abschaltung der Maschine sofort wegsterben. Da kommt der Spitaldirektor angerannt und teilt dem Pflegepersonal entsetzt mit, dass der Hauptgenerator des Spitals gefährliche Risse aufweise und im 9’000 Km entfernten Schwesterspital gerade die Keilriemen durch die Luft geflogen seien. Er empfielt dringend den eigenen Generator SOFORT abzuschalten. Man habe zwar keinerlei Keilriemen im eigenen System. Aber handeln sei ein Gebot der Situation. Der Generator unterstehe sowieso einem Generalverdacht und man habe ja genug grüne Salben und Pflaster an Lager. Man müsse sie nur endlich aus dem Keller heraufholen. Wichtig sei allerdings die höchst effiziente Anwendung dieser Pflaster. Dann würde man den ausgefallenen Generator mit links ersetzen können. Es sei alles da, was man brauche!
Der Haustechniker des Spitals, der natürlich genau weiss, dass das Abschalten des Generators den Kollaps einiger Patienten zur Folge haben würde, nimmt die Anweisung zum Abschalten entgegen und lässt sich viel Zeit dazu. „Suppen werden nie so heiss gegessen, wie sie gekocht wurden“, pflegt er sich in solchen Situationen zu sagen.
Der Pflegebetrieb nimmt also seinen gewohnten Lauf, der Generator läuft weiter und alle sind zufrieden. Da beginnt eine kleine Gruppe von Patienten, die von den weit entfernten problematischen Keilriemen gelesen hat, zu revoltieren. „Wir bestehen darauf, dass nun sofort jeder Generator abgeschaltet wird“. „Das sind alles Schrottgeneratoren, auch diejenigen ohne Keilriemen!“ Sie beginnen auf allen Gängen und Treppenhäusern damit, eilends geschriebene Flugblätter zu verteilen und stacheln die anderen Patienten dazu an, die gleichen Forderungen zu stellen. „Wir wollen keine Ärzte mehr, die mit Generatoren arbeiten, wir wollen Ärzte, die mit grünen Pflastern und Salben und intelligenten Netzen behandeln!“, rufen sie nun alle im Chor.
Die Ärzte, um ihre Vormachtstellung im Spital besorgt, beruhigen die revoltierenden Patienten und versprechen ihnen, so bald wie möglich auf alle Generatoren zu verzichten. Natürlich wissen auch sie ganz genau, dass ohne die Generatoren im Spital praktisch nichts läuft. Aber das trauen sie sich nicht den Patienten zu sagen, denn einzelne Patienten haben damit begonnen, den generatorfreundlichen Ärzten kleine Briefbomben nach Hause zu senden.
Es bleibt den Ärzten wohl nichts anderes übrig, als die Lieferung der intelligenten Netze und der grünen Windradpflästerchen beim Lieferanten zu reklamieren. Damit in Zukunft wenigstens die Ränder der offenen Wunden behandelt werden können. Das Problem wird sich auf alle Fälle irgendwie lösen. Man munkelt, dass beim Abschalten der Generatoren ja auch schlagartig weniger Patienten da seien. Das hat doch etwas Wahres – oder etwa nicht?
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